Jüdischer Humor
und Antisemitismus
Versuch einer Differenzierung
Ein gewisser, latenter Antisemitismus scheint im Wien von heute nach
wie vor an der Tagesordnung und gesellschaftlich akzeptiert zu sein.
Die Grenzen sind oft sehr schwer zu ziehen. Wer hier mehr
Sensibilität einfordert, findet sich schnell als Spielverderber
und "Gutmensch" abgestempelt.
Verantwortlich dafür ist sicher (unter anderem) die noch
immer fehlende klare Auseinandersetzung mit den historischen
Hintergründen.
Das Café Landtmann liegt an einem Abschnitt der Ringstraße, der jahrzehntelang den Namen Dr. Karl Lueger-Ring trug.
Auf
der anderen Seite befindet sich die Universität. Im Mai 2008 kam
der Vorschlag, diesen Teil des Rings in "Elise Richter-Ring"
umzubenennen.
Die jüdische Sprachforscherin Elise Richter war die erste Frau,
die an der Universität Wien als Dozentin lehren konnte (ab 1907 -
1942 wurde sie in Theresienstadt umgebracht) - Bürgermeister
Karl Lueger hingegen ein skrupelloser Populist der
Jahrhundertwende, der seine Macht in erster Linie dem geschickten
Schüren des Antisemitismus verdankte (Adolf Hitler betrachtete ihn
als sein großes Vorbild).
Sofort nach Bekanntwerden des Umbenennungsvorschlags traten in diversen
Internetforen Hunderte von Stimmen auf den Plan, die empört gegen
die "Zerstörung der Reinheit der Kultur" und die "Diffamierung des
Andenkens eines großen Wohltäters" wetterten. Gegenstimmen:
gegen Null...
Im Juli 2012 wurde dann endlich ein akzeptabler Kompromiss gefunden,
der frühere "Dr. Karl Lueger-Ring" heißt ab nun schlicht "Universitätsring". Was natürlich auch nicht ohne Proteste von rechter Seite vonstatten ging...
Der Antisemitismus in Wien ist allerdings keine "Erfindung" der Nationalsozialisten,
seine geschichtlichen Wurzeln liegen wesentlich länger
zurück. Das scheint eine allgemein bekannte Banalität zu
sein, die aber ins Bewußtsein vieler Menschen hierzulande noch
immer nicht vorgedrungen sein dürfte.
Lange vor dem Holocaust erlebte der Antisemitismus in Wien schon um die
Jahrhundertwende eine Hochblüte. In den Texten der
Unterhaltungsensembles, wie etwa der "Budapester Orpheum-Gesellschaft",
spiegelt sich dieses gesellschaftliche Klima immer wieder.
Gerade als nicht-jüdisches Ensemble, das sich mit dem
jüdischen Kabarett dieser Zeit auseinandersetzt, ist es uns ein
Anliegen, auch diese weitgehend antisemitische Grundstimmung im
damaligen Wien zu thematisieren. Speziell die Auseinandersetzung mit
Humor ist ohne Differenzierung fast unmöglich - denn gerade im
Bereich des Humors ist die Grenze zwischen Satire und Komik auf der
einen Seite, hin zur Karikierung und dem Ausschlachten antisemitischer
Stereotypen auf der anderen Seite, eine sehr, sehr schmale...
Oft ist es schon ein riesiger Unterschied, wer eine bestimmte Pointe erzählt, und mit welcher Absicht
dies geschieht. Schon damals wurde ja auch davor gewarnt, wie schnell
es passieren könnte, daß nichtjüdische Komiker das, was
sie im jüdischen Unterhaltungstheater zu sehen bekämen, zur
antisemitischen Stimmungsmache mißbrauchen könnten - eine
nicht unberechtigte Befürchtung, wie sich dann später
herausgestellt hat.
Heutzutage - mit dem Wissen um all das Schreckliche, das in der
Zwischenzeit geschehen ist - ist die Beschäftigung mit dem
jüdischen Humor dieser Zeit deshalb eine Gratwanderung, speziell
für ein nichtjüdisches Ensemble. Unser Anliegen ist deshalb -
auch wenn das altmodisch klingen mag - nicht nur ein unterhaltendes,
sondern auch ein "aufklärerisches".
Um sich mit dem Themenkomplex "Klischee" und "Stereotyp"
auseinanderzusetzen, gehört natürlich, diese Klischees zum
Teil auch anzusprechen oder zu zeigen. Leider ist es nicht
ausgeschlossen, daß manche Zuschauer sich, trotz der
dahinterstehenden Absichten, durch das Aussprechen solcher
antijüdischer Stereotypen, in ihren Gefühlen verletzt
fühlen könnten. Bei diesen Zuschauern möchten wir uns im
vorhinein entschuldigen!
Ein kleines Beispiel:
In einer Anekdote von etwa 1910 erzählt Heinrich Eisenbach ganz selbstverständlich von "zwei Israeliten".
Damals ein noch gar nicht (oder zumindest nicht ausschließlich)
antisemitisch konnotierter Begriff - eine der wichtigsten
deutschsprachigen jüdisch-orthodoxen Wochenzeitungen gab sich
beispielsweise selbst stolz den Titel "Der Israelit", bis sie 1938 von
den Nazis verboten wurde (seit 2010 übrigens als Online-Zeitung
wiedergegründet).
Parallel dazu wurde das Wort "Israelit" aber von
Antisemiten und in besonderem Ausmaß von den Nazis schon
sehr früh auch als judenfeindliches Schimpfwort mißbraucht.
Ein Mißbrauch, der so umfassend war, daß er die
ursprünglich genauso vorhanden gewesenen positiven Deutungen
mittlerweile komplett überdeckt hat.
Mit dem Ergebnis, daß dieses Wort, heute auf einer Bühne
ausgesprochen, antisemitisch wirkt - auch wenn der
(jüdische) Autor es damals ganz ohne Hintergedanken (oder
eventuell doch mit einer leisen Ironie?) verwendet haben dürfte.
Und hier stellt sich natürlich einem jetzigen Ensemble die Frage:
das Wort im Text belassen (historisch korrekt) oder durch ein neutrales
Wort ersetzen ("politisch" korrekt, bzw. auch emotional weniger
belastet/belastend)?
Und das ist nur eines von vielen Beispielen, eine von vielen derartigen Fragen, die man sich und der man sich
in der Auseinandersetzung mit diesen alten Texten immer wieder neu
stellen muß - und auf die es im Endeffekt auch keine wirklich
zufriedenstellende Antwort zu geben scheint (zumindest ist die Zeit wohl noch nicht reif dafür).
Eines
möchten wir in diesem Zusammenhang jedenfalls
unmißverständlich klarstellen (auch wenns ja eigentlich eine
Selbstverständlichkeit ist / sein sollte):
Regie, Produktionsleitung und Ensemble von "Dalles & Dowidl"
distanzieren sich entschieden von jeglicher Form von Antisemitismus,
und selbstverständlich auch von jeder antisemitisch klingenden
Äußerung im Kontext des Stückes!
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